"Never change a running system" lautet ein Sprichwort in der IT-Systemadministration. Es zeigt, in welchem Spannungsfeld sich das Change Management bewegt. Auf der einen Seite Rahmenbedingungen, die sich stetig ändern, Markttransformationen, wechselnde Wirtschaftsentwicklungen, politische Umbrüche wie die Auswirkungen des britischen EU-Referendums mit dem weitgehend unerwarteten Brexit als Ergebnis. Auf der anderen Seite der Wunsch, aber gleichfalls die Notwendigkeit, funktionierende, erfolgreiche und profitable Prozesse, Strukturen und Kulturen zu erhalten. Hier setzt auch der achtstufige Change Management Prozess von John Kotter an, den er in seinem Bestseller "Leading Change" entwirft. Die acht aufeinander aufbauenden Phasen helfen Fehler beim Change Management zu vermeiden, indem sie den komplexen Prozess in überschaubare Einheiten zerlegen.
1. Erzeugen Sie ein Gefühl der Dringlichkeit
In dem 2006 erschienenen Buch zum Thema Change Management skizziert Kotter das Bild eines schmelzenden Eisbergs, der eine Pinguinkolonie beherbergt. Eis schmilzt langsam und unmerklich. Zunächst wird nur ein Pinguin, der seine Heimat aufmerksam beobachtet, überhaupt bemerken, dass sie immer kleiner wird. Um die Gefahr für die Kolonie durch eine geeignete Veränderung der Verhaltens- oder Lebensweise abwenden zu können, muss er zuerst anderen die Dringlichkeit der Situation verdeutlichen. Andernfalls wird sich keiner von seiner gewohnten Umgebung und den bewährten Routinen trennen wollen. Es wäre aber ebenfalls falsch, Angst vor einer drohenden Katastrophe zu erzeugen. Sie lähmt die Handlungsfähigkeit und würde Ihre Bemühungen boykottieren, durch Change Management eine positive Veränderung herbeizuführen.
Ein entscheidender Fehler ist hier, die generelle Zufriedenheit der Situation bei allen Mitarbeitern zu unterschätzen. Es liegt in der Natur des Menschen, die eigene Lage zu beschönigen und sich damit abzufinden. Das kann durchaus auch die Motivation steigern und daher vorteilhaft sein, wenn dadurch keine existentiellen Probleme ignoriert werden. Aber wenn sich die Mitarbeiter in Zufriedenheit wiegen und sich gegenseitig in der Sicht einer scheinbar positiven Lage bestärken, hat es ein Change Management schwer, die Erkenntnis für die Notwendigkeit von Veränderungen zu wecken. Hier fehlt das Gefühl für die Dringlichkeit und mit "unschönen" Fakten allein kann dieses schwerlich geweckt werden. Zu leicht lassen sie sich bagatellisieren. Hier ist es von entscheidender Bedeutung die Quellen und Kommunikationskanäle zu identifizieren und potentielle Beschönigungen zu erkennen und zu unterbrechen.
Acht Punkte schlägt John Kotter in seinem Buch "Leading Change" vor, um die Wahrnehmung der Dringlichkeit von Veränderung zu verbessern. Viele davon bergen die Gefahr, dass der Effekt der Maßnahme sich gegen Sie richtet, anstatt dass sie der veränderungsbedürftigen Situation des Unternehmens zugerechnet werden. Hier hilft es, wenn Sie bereits den zweiten Schritt des Change Management Prozesses angehen und sich dadurch ausreichende Unterstützung in der Führungsetage sichern.
2. Bilden Sie eine richtungweisende Koalition
Alleine werden Sie den Kurs nicht ändern. Verbünden Sie sich mit anderen Führungskräften, die wie Sie von der Dringlichkeit der Veränderung überzeugt sind. Wenn Sie eine Veränderung erfolgreich implementieren wollen, müssen Sie Ihre Vorstellungen in einer späteren Phase des Change Management Prozesses auch der gesamten Belegschaft des Unternehmens überzeugend vermitteln. Das Team, das Sie in dieser zweiten Stufe bilden, wird dann auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit des Change Managements richtungsweisend verbreiten. Wie schon in der Einleitung angedeutet müssen Sie mit Widerständen gegen die Umsetzung ihrer Veränderungspläne rechnen. Diese entstehen auch durch eine ungünstige Zusammensetzung Ihrer Koalition. Zu den Fehlern, die bei der Auswahl der Teammitglieder leicht passieren, gehört einerseits das Ausschließen einflussreicher Mitglieder der Unternehmensleitung, aber auch das Einschließen von Personen, die den Change Management ausbremsen oder gar sabotieren. Das kann leicht zur Zwickmühle werden und zu nachteiligen Kompromissen verleiten, die später den gesamten Change Management Prozess in Gefahr bringen. In anders unlösbaren Fällen ist es daher ratsam zu erkennen, welches Unternehmensmitglied einen positiven oder negativen Einfluss auf die Entwicklung der Veränderung haben kann. Für einen Erfolg sind hier vor allem Teamplayer von entscheidender Bedeutung, die positive Beziehungen im Team verstärken und eine zielgerichtete Einstellung gegenüber der Veränderung haben.
Ein Fehler bei der Zusammenstellung der leitenden Koalition ist ein Mangel an Führungsstärke innerhalb der Gruppe. Ein Change Management Team, das sich überwiegend aus Unternehmensmitgliedern mit wenig Führungsqualitäten zusammensetzt, wird nicht die nötige Antriebskraft für die Durchsetzung der Veränderungen aufbringen können. Lässt sich beispielweise ein Team aus den Rängen der Unternehmensleitung nicht mit ausreichend Führungskraft ausstatten, kann das auf drei Arten ausgeglichen werden:
- Durch Befördern geeigneter Mitarbeiter, die entsprechende Qualitäten zeigen.
- Durch ein Anspornen von Mitarbeitern mehr Führungsqualität zu entfalten, wenn sie Positionen innehaben, bei denen das notwendig ist.
- Indem Sie eine externe, unternehmensfremde Experten hinzuziehen.
Von diesem Fehler abgesehen wird auch ein Change Management Team scheitern, das zu wenig Glaubwürdigkeit im Unternehmen besitzt. Fehlt zum Beispiel ein großer oder besonders einflussreicher Teil der Führungsetage in der Koalition, dann wird das Team nur zögernd Unterstützung erhalten. Als Folge wird es sowohl in der Unternehmensleitung als auch in den anderen Teilen der Belegschaft zu wenig Gehör finden und auf übergroße Widerstände bei der Umsetzung von Change Management Maßnahmen stoßen.
3. Entwickeln Sie eine Vision und Strategie der Veränderung
Eine Vision ist ein ganzheitliches Bild der Veränderungen, der Gründe, die sie erfordern, und der Ziele, die Sie mit dem Change Management erreichen wollen. Konosuke Matsushita, der erfolgreiche japanische Unternehmer und spätere Lehrer von John Kotter, hat in einer frühen Phase seiner Selbständigkeit festgestellt, dass eine gute Idee und ein besseres Produkt nichts nützt, wenn es sich nicht verkaufen lässt. Das gilt ähnlich auch für das Change Management. Eine Vision ist leichter zu erfassen als eine komplexe Abhandlung und sie hat die Kraft, Menschen zu bewegen. Betrachten Sie Ihre Vision als Marke für Ihr Change Management. Aus der Vision folgt die Strategie. Sie macht das Handeln zielgerichtet und verhindert so, dass Initiativen und Aktionen im Sande verlaufen, weil sie nicht aufeinander abgestimmt sind oder am eigentlichen Ziel vorbeigehen. Eine Vision zu entwickeln, aber keine Strategie zu ihrer Umsetzung, wäre daher ebenfalls ein Fehler.
4. Kommunizieren Sie Ihre Vision
Die Vision ist Ihr stärkstes Mittel, um Mitarbeiter von der Notwendigkeit und den Zukunftschancen der Veränderung zu überzeugen. Es kann aber nur wirken, wenn Sie Ihre Vision auch in den Köpfen aller Beteiligten im Unternehmen verankern. Wenn Sie von Ihrer Vision begeistert sind, reicht das nicht. Dieser Punkt wird leicht übersehen. Die extensive Kommunikation der Vision ist die Basis, auf der sich ein erfolgreiches Change Management entwickeln kann. Jeder Beteiligte muss Ihre Vision verstehen und annehmen, damit sich niemand ausgeschlossen fühlt oder aus Unkenntnis gegen die Ziele arbeitet. Auf dem Weg zum Erfolg kann das Change Management außerdem kurzfristige Entbehrungen abverlangen. Auch diese werden leichter in Kauf genommen, wenn die Beteiligten die Vision verinnerlicht und das langfristige Ziel vor Augen haben sowie die Notwendigkeit der Veränderung erkennen und aus eigener Überzeugung handeln.
5. Befähigen Sie die Unternehmensmitglieder zu ganzheitlichem Handeln
Vermeidbare Hürden für das Change Management entstehen, wenn Beteiligte nur den kleinen Ausschnitt ihres eigenen Verantwortungsbereichs im gesamten Unternehmen im Blick haben. Leicht werden dann negative Auswirkungen einzelner Handlungen auf den Gesamtprozess übersehen, die im kleinen Rahmen der eigenen Tätigkeit absolut sinnvoll erscheinen. Diese Fehler können Sie vermeiden, wenn Sie den Beteiligten die Möglichkeit geben, sich über ihren begrenzten Tätigkeitsbereich hinaus für den Change Management Prozess zu engagieren. Das Ziel sollte sein, dass sie bei ihren individuellen Arbeitsaufgaben stets auch das übergeordnete Vorhaben im Blick behalten.
6. Generieren Sie kurzfristig Erfolge
Die Prozesse im menschlichen Gehirn belohnen kurzfristige, kleine Gewinne mehr als größere, langfristige. Die langfristigen Versprechen Ihrer Vision der Veränderungen haben daher prinzipiell weniger Zugkraft als kurzfristige Vorteile, wie ein höherer Verdienst oder ein schnellerer Arbeitserfolg. Es ist daher ein Fehler, wenn sich das Change Management allein auf die Attraktivität der langfristig erzielbaren Vorteile verlässt. Ergänzen Sie Ihre Strategie durch kurzfristig erreichbare Ziele, die den Beteiligten regelmäßig eine Bestätigung liefern.
7. Festigen Sie erzielte Erfolge und erzeugen Sie weitere Veränderung
Wenn Sie ein kurzfristiges Ziel erreicht haben, machen Sie nicht den Fehler, sich den Blick auf die langfristigen Pläne durch den Teilerfolg verstellen zu lassen. Nutzen Sie stattdessen das vom Erfolg erzeugte Moment, um die erreichten Ziele zu konsolidieren und die nächsten Schritte in Angriff zu nehmen. Hier zeigt sich die Führungsstärke, die für ein erfolgreiches Change Management nötig ist. Gerade diese vorletzte Phase des Change Management Prozesses ist langwierig und kann sich sogar über ein Jahrzehnt hinziehen. Wer den Sieg zu früh verkündet, riskiert das Schicksal der Trojaner zu teilen, die den vermeintlichen Abzug der Griechen feierten und das zurückgelassene Holzpferd als Beute in Ihre Stadt nahmen.
Auch die Statistik kann Ihnen sagen, dass auf einen Fortschritt häufig ein Fehlschlag folgt, seien Sie also achtsam, gerade wenn Sie einen temporären Erfolg errungen haben.
8. Verankern Sie die neuen Ansätze in der Unternehmenskultur
Sie haben die sieben Stufen Ihres Change Management Prozesses erfolgreich abgeschlossen. Jetzt können Sie sich zur Ruhe setzen, beziehungsweise einer anderen Aufgabe widmen? Das wäre ein ähnlicher Fehler wie den Sieg zu früh verkünden, wenn die Veränderungen nicht bereits fest in Ihrer Unternehmenskultur verankert und zur Selbstverständlichkeit geworden sind. Die Unternehmensleitung und die gesamte Belegschaft müssen hinter den Neuerungen stehen und diese auch aktiv an neue Mitglieder der Belegschaft vermitteln, sonst geht das Erreichte in kurzer Zeit wieder verloren. Denken Sie also daran, was nach Ihnen kommt, und sorgen Sie dafür, dass die erreichten Veränderungen von Dauer sind.
Diese Fehler in Change Management Prozessen rechtzeitig zu erkennen und abzuwenden ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Veränderung. Destruktive Trägheit - unnötige Resistenzen und frustrierte Mitarbeiter sowie reduzierte Flexibilität des Unternehmens, auf Kundenanforderungen zu reagieren – kann durch Sachverstand und Aufmerksamkeit vermieden werden. Welche Maßnahmen und Möglichkeiten es gibt, diese Fehler zu vermeiden und erfolgreiche Veränderungen herbeizuführen, wird in meinem nächsten Artikel thematisiert.