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Am 23. Juni 2016 erfolgte in Großbritannien in einem Referendum die Entscheidung, die Europäische Union zu verlassen. Auch wenn das Ergebnis mit 52% zu 48% sehr knapp war, wurde damit der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union initiiert. Dies war der erste Meilenstein des Brexits.

Am 31. Januar 2020 begann mit dem offiziellen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union eine elfmonatige Übergangsphase, sodass bis zum 31. Dezember 2020 die zukünftige Beziehung und Zusammenarbeit der Europäischen Union und Großbritannien neu zu definieren war.

Ein gemeinsames Post-Brexit Handelsabkommen ermöglicht es, die zukünftige Beziehung und Zusammenarbeit zu definieren, sodass Großbritannien am 01. Januar 2021 aus dem Europäischen Binnenmarkt und aus der Europäischen Zollunion austreten konnte. Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen beschreibt das neue gemeinsame Handelsabkommen als fair, ausgewogen und richtig. Zum Abschluss der zehnmonatigen Verhandlungsphase bestätigte die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, dass eine Einigung stattgefunden hat und der Binnenmarkt weiterhin gerecht geregelt wird.

Das Europäische Parlament hat das seit Jahresbeginn vorläufig angewandte Handels- und Kooperationsabkommen der EU mit Großbritannien ratifiziert. Am 01. Mai trat das Post-Brexit Handelsabkommen in Kraft und somit das größte Handels- und Kooperationsabkommen, das die Europäische Union jemals mit einem Staat vereinbart hat. Das britisch-europäische Handelsabkommen beinhaltete jedoch keine Informationen zu der zukünftigen Ausgestaltung des Bankwesens und der Finanzdienstleistungen. Dies implizierte, dass die europäischen Entscheidungsträger in Brüssel diskutieren mussten, wie die Zugangsberechtigungen von britischen Unternehmen auf dem europäischen Markt auszugestalten sind.

BrexitSeit Januar 2021 sind Beamte der Europäischen Kommission, Entscheidungsträger der Europäischen Union und das britische Finanzministerium in Diskussionen über die Zukunft der Finanzdienstleistungen verwickelt. So wurde am 26. März 2021 bekanntgegeben, dass die Gespräche über den Wortlaut der Absichtserklärung, die in einer gemeinsamen Erklärung zur Zusammenarbeit im Bereich der Regulierung von Finanzdienstleistungen neben dem Handels- und Kooperationsabkommen vereinbart wurde, nun abgeschlossen seien.

Das britische Finanzministerium äußerte, dass die Absichtserklärung eine grundlegende Struktur für freiwillige regulatorische Zusammenarbeit schaffen wird. Zur Erleichterung des Dialogs über Finanzdienstleistungsfragen wird außerdem ein Regulierungsforum eingerichtet. Die Absichtserklärung beinhaltet jedoch nicht die entscheidende Frage, wie britische Unternehmen auf dem europäischen Markt agieren können. Damit das Regelwerk als gleichwertig gilt, ist es erforderlich, dass in bis zu 40 separaten Tätigkeitsbereichen Äquivalenzentscheidungen getroffen werden. Diese Entscheidungen können jedoch sehr leicht widerrufen werden.

Zunächst hat die Europäische Union für nur zwei Tätigkeitsbereiche Gleichwertigkeit gewährt. Großbritannien hingegen gewährte der Europäischen Union für 17 Tätigkeitsbereiche Gleichwertigkeit. Eine dieser Äquivalenzentscheidungen erlaubt es europäischen Anlegern britische Clearinghäuser zu nutzen. Eine andere Gleichwertigkeit betrifft Vereinbarungen im Bereich von Wertpapierdepots. Brüssels Haltung gegenüber London war dementsprechend weniger vorteilhaft als anderen Drittstaaten gegenüber. In der Absichtserklärung mit den Vereinigten Staaten wurden 21 Äquivalenzen, mit Japan 19 Äquivalenzen und mit Singapur 15 Äquivalenzen gewährt.

Diese Vorgehensweise könnte darauf zurückzuführen sein, dass es Indizien dafür gab, dass sich die britische Regierung im Laufe der Zeit von den europäischen Vorschriften lösen möchte. Die Europäische Union nimmt sich in Bezug auf Ankündigungen und Entscheidungen zur Gleichwertigkeit ausreichend Zeit. Dies betonte die europäische Kommissarin für Finanzdienstleistungen Mairead McGuiness. Der Verlust des grenzüberschreitenden Finanzpasses des europäischen Wirtschaftsraums, welcher den Handel zwischen britischen und europäischen Unternehmen ermöglichte, hat sich mittlerweile auch auf den britischen Finanzsektor ausgewirkt. Amsterdam hat die britische Hauptstadt im europäischen Aktienhandel überholt. Rund sechs Milliarden Euro wurden am ersten Handelstag nach dem Austritt Großbritanniens aus dem Binnenmarkt in Richtung Europäische Union transferiert. London kämpft außerdem dafür, ihren Status als beste Stadt, außerhalb New Yorks, für Banker und Händler beizubehalten.

Im ersten veröffentlichten Global Financial Centers Index seit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, verlor die britische Hauptstadt deutlich an Boden und konnte ihren zweiten Platz im Ranking kaum behaupten.

  • New York hält weiterhin den ersten Platz im Index.
  • London fiel auf nur einen Punkt zum drittplatzierten Shanghai zurück.

Seit fast fünf Jahren droht London und der europäischen Finanzdienstleistungsbranche der Brexit. Um sich auf das Worst-Case-Szenario vorzubereiten, gingen viele internationale Banken ein frühes Risiko ein und stärkten ihre europäischen Geschäfte. Dies ermöglichte beim Austritt Großbritanniens aus der Zollunion einen reibungslosen Übergang.

Es ist immer noch schwierig, den Schaden für Großbritannien einzuschätzen, da finanzielle wirtschaftliche Ergebnisse speziell durch die Pandemie verwischt wurden. Dennoch sind einige Zahlen bekannt und sollten genannt werden. Es hat sich gezeigt, dass über 400 Unternehmen im Banken- und Finanzsektor Teile ihrer Geschäfte, Mitarbeiter oder Rechtsträger von Großbritannien nach Europa verlagert haben.

Außerdem haben Banken Vermögenswerte im Wert von mehr als 900 Mrd. Pfund von Großbritannien nach Europa übertragen. Auch Versicherungsunternehmen und Vermögensverwalter transferierten Vermögenswerte und Fonds in Höhe von 100 Mrd. Pfund. Viele Firmen haben ihr Geschäft bewusst aufgeteilt und einzelne Städte als Zentren für verschiedene Geschäftsbereiche ausgewählt, sodass kein einzelnes Finanzzentrum dominiert.

Die Auswahl der verschiedenen Finanzzentren wurde hierbei maßgeblich von ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich beeinflusst. So hat sich beispielsweise ein Drittel aller Vermögensverwaltungsgesellschaften, die aufgrund des Brexits einen Teil ihres Geschäftes verlagert haben, für Dublin als Finanzzentrum entschieden. Von den Unternehmen, die sich für Frankfurt als Hauptstandort in der Europäischen Union entschieden haben, waren 60% Banken. Zuletzt waren fast zwei Drittel aller Firmen, die den Standort Amsterdam wählten, Handelsplattformen, Börsen oder Maklerfirmen.

Mit über 130 Firmen, die die irische Hauptstadt als Standort nach dem Brexit wählten, entschied sich der Großteil der Unternehmen für Dublin als Finanzzentrum. Dublin lag somit vor den Standorten Paris, Luxemburg, Frankfurt und Amsterdam. Langfristig wird jedoch erwartet, dass sich Frankfurt als Standort für die Verlagerung von Vermögen und Paris in Bezug auf die Verlagerung von Arbeitsplätzen durchsetzen wird. 

Nur ein kleiner Teil der Unternehmen äußerte sich genauer bezüglich konkreter Zahlen zur Thematik der Auslagerung. Aber diese Zahlen bestätigen, dass es sich um hohe Summen handelt: Die bereits transferierten 900 Mrd. Pfund machen in etwa 10% des gesamten britischen Bankensystems aus. Somit dürfte die Endsumme transferierter Werte weit höher ausfallen, was zur Folge hat, dass sich gleichzeitig die Steuerbemessungsgrundlage des Vereinigten Königreichs verringert. Zudem wird sich die starke Verlagerung nach Europa auf den aufsichtsrechtlichen Einfluss und letztendlich auch auf die Arbeitsplätze auswirken. Die größere Sorge für das Vereinigte Königreich besteht allerdings nicht darin, dass sich Jobs in das Ausland verlagern, sondern darin, dass in der Zukunft Jobs in Europa geschaffen werden, welche andernfalls in Großbritannien entstanden wären. 

Die Verlagerung von Geschäften, Vermögenswerten und Rechtsträgern wird außerdem schrittweise den Einfluss des Vereinigten Königreichs im Banken- und Finanzsektor in Europa und der gesamten Welt verringern, da dann ein großer Teil der Geschäfte von der EU genehmigt und geführt wird.

Diese Betriebsverlagerung von Großbritannien nach Europa findet jedoch auch in umgekehrter Richtung statt. Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren viele europäische Unternehmen neue Standorte in dem Vereinigten Königreich konstituieren werden. Eine Analyse der europäischen Firmen, welche das derzeitige System der befristeten Genehmigungen für den Zugang zum britischen Markt nutzen, zeigt, dass bereits über die Hälfte dieser Firmen in Großbritannien vertreten ist. Viele von ihnen, vorrangig größere Unternehmen, haben vermutlich entschieden, dass ein Markteintritt in Großbritannien nicht rentabel ist. Eine wahrscheinliche Konsequenz ist, dass in etwa 300 bis 500, primär kleinere Unternehmen, eine Niederlassung in dem Vereinigten Königreich eröffnen werden. Vorherrschende Prognosen rechneten mit etwa 1000 Eröffnungen und liegen damit weit über den aktuellen Zahlen.

Aus britischer Sicht ist es vermutlich besser, den durch den Brexit verursachten Schaden zu akzeptieren und sich stattdessen auf die Neuausrichtung des britischen Rahmenwerks zu konzentrieren, damit es besser auf die Besonderheiten der britischen Finanzdienstleistungsbranche zugeschnitten ist.

Der Brexit kann für Großbritannien die Gelegenheit sein, Partnerschaften in Schlüsselsektoren mit anderen Märkten aufzubauen und zu vertiefen.

Wie die europäische Kommission den Interessengruppen bereits mitteilte, gelten seit dem 01. Februar 2021, mit Ablauf der Übergangsfrist, insbesondere die folgenden europäischen Vorschriften in den Bereichen Bank- und Zahlungsdienste nicht mehr für das Vereinigte Königreich:

  • die Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (CRD),
  • die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über aufsichtsrechtliche Anforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (CRR),
  • die Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme (DGSD),
  • die Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Schaffung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (BRRD),
  • die Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt (PSD),
  • die Verordnung (EG) Nr. 924/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über grenzüberschreitende Zahlungen in der Gemeinschaft
  • die Richtlinie 2014/92/EU über die Vergleichbarkeit von Gebühren im Zusammenhang mit Zahlungskonten, den Wechsel von Zahlungskonten und den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Merkmalen (PAD), sowie europäische Vorschriften im Bereich der der E-Geld-Ausgabe,
  • einschließlich der Richtlinie 2009/110/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung des Geschäftes von E-Geld-Instituten.

Die im Vereinigten Königreich zugelassenen Finanzdienstleister, werden in Bezug auf die Errichtung von Zweigniederlassungen oder die Beauftragung von Agenten in den europäischen Mitgliedsstaaten wie Drittstaaten behandelt. Dies hat zur Folge, dass diese Unternehmen mit ihren derzeitigen britischen Zulassungen keine grenzüberschreitenden Dienstleistungen mehr in der EU erbringen dürfen.

Im Vereinigten Königreich zugelassene Rechtsträger, die in EU-Mitgliedsstaaten Zweigniederlassungen errichtet haben, sind dazu verpflichtet die geltenden Vorschriften des Aufnahmemitgliedsstaates für Unternehmen mit Sitz in einem Drittland einzuhalten. Zudem ist eine gültige Zulassung durch die jeweils zuständige Behörde des Aufnahmemitgliedsstaates gemäß diesen Vorschriften notwendig. Als Beispiel für Deutschland hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) eine Checkliste für die Zulassung von Kreditinstituten erstellt.

Diese Checkliste soll britischen Finanzdienstleistern als Hilfestellung zur Vorbereitung ihres Antrages auf eine Banklizenz dienen.

Die Regulierungen im Finanzdienstleistungssektor nach dem Brexit müssen noch verfeinert werden, man hofft jedoch, dass das Memorandum of Understanding ein erster Schritt in Richtung einer regulatorischen Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich ist.

Neele Overbeck
Autor:in: Neele Overbeck
Neele Overbeck ist als Business Analystin bei der BBHT Beratungsgesellschaft tätig. Ihre fundierten Kenntnisse und Erfahrungen in der Finanzwirtschaft bringt sie seit 2021 in die Projekte unserer Kunden ein.

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